"Umm Nur - Erzählungen zwischen Orient und Okzident"
von Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri, geb. 1984
Du willst fühlen, was eine Bierdeckelliebe ist?
Du willst wissen, wie viele Haare ein Mann pro Tag frißt?
Du willst wissen, warum sein Papiermädchen so traurig ist?
...und warum es Gut & Böse geben muss?
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Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri
Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri wurde 1984 in Hamburg als Kind zweier Kulturen geboren. Er lebt und studiert in Freiburg, ist verheiratet und hat zwei Kinder. In seinen Erzählungen versucht er die Innenwelten einzufangen und das, was dazwischen liegt. Ein Wort wird gemeinsam von Schreiber und Leser geschaffen, es ist für ihn etwas Intimes, Außergewöhnliches und Unbegrenztes. "Umm Nur" ist sein Debüt.
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Hier im Dorf gibt es eine Frau, eine Frau, die aus den Augen liest und aus den Händen und dem Kaffeesatz. Umm Nur nennt man sie. Ich halte Ausschau nach ihr, von den Balkonen, den Wagen, nach Umm Nur, aus meinem Horst, spähe ich. Nach Umm Nur.
Umm Nur altert nicht, so scheint es mir, sie sieht mich schon seit Jahren mit diesem starken Augenpaar, den klaren Zügen ihrer Miene an, so an. Sie altert und sie lächelt nicht. Ob sie weint, vermag ich nicht zu sagen, jetzt nicht, einige flüstern es mir zu, sie weine in ganz kleinen Nächten, um den Derwisch, den alten Derwisch, im schwarzen Kaftan und Glockenrock, weiß und weit, mit roter Sikke. Der Derwisch tanzt nicht mehr.
Ich schleiche in Nächten, die mir klein genug erscheinen, um ihr Haus, Umm Nurs Haus, harre vor einem der Fenster aus, lausche, suche ein Schluchzen, ein Wimmern – doch dieses Warten bleibt tränenlos. Ich schicke einen Jungen aus, der mir Maulbeeren bringt, kaftanschwarz und zwei Dutzend Datteln. Die Maulbeeren setze ich an, für eine List, für Umm Nur, ich presse sie, quetsche sie, fange den Saft, den Saft allein. Die Datteln trockne ich, am Tage, schäle behutsam den Kern heraus, sie sollen schön sein. Ich zuckere die Datteln, fülle sie mit Nuss und Sirup, mehr Sirup, dann sind sie süß.
Ich schicke einen Jungen aus, der Saft und süße Datteln bringt, zu Umm Nur, zu ihr. An ihre Treppe trägt er sie, es sind drei Stufen, auf die mittlere, sage ich ihm. Die obere wäre zu aufdringlich, die untere flehend, er soll Wache halten, in einem Versteck. Ich möchte fragen, ob sie einen Mann hat, inne hat, ganz hat. Ich befrage alle, niemand weiß es. Der Junge kehrt zurück, zu mir, reibt sich die Augen und gesteht den Schlaf: Glas und Teller sind leer. Wer hat gegessen, befrage ich ihn. Was soll mir der Schläfling sagen. Kein Mann. Denn ein Mann stellt nicht sein Glas zurück und niemals einen Teller. Nicht der Junge, denn der isst nicht sauber, sein Hemd aus weißem Leinen hätte er betropft, rot betropft, den Sirup hätte er im Haar, verklebt. Umm Nur hat gegessen.
Meine List geht auf. Umm Nur hat gegessen. Getrunken hat sie. Meinen Saft, mein süßes Fleisch. Umm Nur trägt dunkle Tücher. Umm Nur trägt Schwarz und geht nicht im Schatten, wenn es heiß ist. Aber sie schwitzt nicht, das weiß ich, sie schwitzt nicht. Oft suche
ich den Boden ab, auf dem sie geht. Den Boden. Ich erhoffe mir, dass ein Tropfen ihrer Hitze aus den Tüchern dringt, zu mir dringt, meinem Ruf folgt und sich frei lässt....
"Umm Nur"
von Jonas Navid Mehrabanian Al-Nemri
130 Seiten
bibliophil gestaltet
mit schwarzem Vorsatzpapier
ISBN 978-3-935259-84-2
Format 13 x 21cm
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